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70 Jahre nach Wannsee
– Erinnerungen und Warnung!


Dr. Herbert Hillel Goldberg

Der spanisch-amerikanische Philosoph George Santayana sagte: „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.“ Aufrichtige Menschen wollen das verhindern.
Am 20.01.42 fand eine höchstverbrecherische Konferenz in Berlin-Wannsee statt. Sie sollte die Industrialisierung der nazistischen „Endlösung der Judenfrage“ unter Beteiligung aller Instanzen bezwecken. Teilnehmer waren 15 Prominente der SS und der Amtsgewalten des nationalsozialistischen Reiches. Den Vorsitz führte SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Reichsprotektor von Böhmen und Mähren in der damals besetzten Tschechoslowakei.

SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann präsentierte eine Länderliste, deren Gesamtzahl der Juden Europas 11 Millionen aufwies, die Hälfte davon in nichtbesetzten Ländern. In Befolgung von Hitlers „Prophetie“ schon vor seiner Wahl, dass er und seine Gefolgen ganz Europa judenfrei machen würden, gab es bereits Massenmorde, besonders durch die deutschen paramilitärischen SS-Einsatzgruppen seit 1939 im Osten.

Auch bestanden bereits Vernichtungslager mit Gaskammern und Krematorien und weitere waren im Bau. Jetzt sollte eine Beschleunigung der Ermordung durch schwerste Zwangsarbeit für die Rüstung, durch Aushungern und Vergasung erfolgen. Das sollte durch Deportation zu den Massenvernichtungslagern, meistens im besetzten Polen, geschehen, wobei Arbeitsunfähige – Behinderte, Alte, Kranke und Kinder – gleich nach Ankunft selektiert und vergast werden sollten. Es sollte auch strikt nach den Nürnberger Gesetzen von 1935 bei der Auswahl derjenigen, die nicht zu deportieren waren, verfahren werden: Dabei sollten solche aus zweitgradigen Mischehen, die nicht als Volljuden galten, sterilisiert werden.

Höhnisches Erstaunen.

Am Schluss der Konferenz, die nur 90 Minuten gedauert hatte, und von deren hochrangigen Teilnehmern über die Hälfte Doktorgrade besaßen, wunderte sich der von Reichsmarschall Hermann Göring für die Ausführung höchstbeorderter Reinhard Heydrich, dass er keinen Widerspruch gegen die Vorstellung (wie auch Darlegung bei späteren Trinkrunden) des Völkermords erlebt hatte.

Über das Geschehene bis zum Ende des 2. Weltkriegs gibt es Volumen, verfasst von Zeitzeugen und Historikern. Ich selber möchte nur äußern, auch nur einen Teil davon, wie es mich persönlich betraf und seine lebenslangen Erinnerungen hinterließ: Das grausame Miterlebnis der Erschießung meines Vaters schon am 11.11.39; Zwangsarbeit als Wäscherin bei der Besatzungsmacht und fataler gesundheitlicher Verfall meiner Mutter; Verhungern meiner 20- und 22-jährigen Schwestern im Getto; persönliche Zwangsarbeit bei Baumpflanzung von abgeholzten Wäldern und schwere Landarbeit als Teenager. Letzteres war bei mir noch teilweise lebensrettend, weil die meisten deutschen Männer im Kriege waren und Gott mir (einem Kinde – Seinem Kinde!) Kraft zur Fronarbeit gab.

Hier darf ich noch etwas einflechten: Wir erfuhren von der Schwester des einen SS-Mannes, dass ich am selben Tage von ihm und 2 andern erschossen werden sollte. Das Gebet meines Vaters in Gegenwart des SS-Mannes bei der Festnahme erwirkte eine Verlegung auf den nächsten Schabbat. Dann aber ertrank einer der 3 SS-Männer, als sie auf dem Wege zu uns tranken, er in ein Boot auf dem nahe gelegenen See stieg, schaukelte und umkippte. Ich war wieder frei.

Ein weiteres persönliches Erlebnis: Ein Junge in meinem Dorf erzählte einem deutschen Soldaten, dass ich Jude bin. Dieser ergriff sofort sein Gewehr und richtete es gegen mich. Wie ich damals so schnell flüchten konnte, bevor er abdrückte, verstehʼ ich heute noch nicht. Aber ich lebe und Gott weiß den Zweck dafür.

Ich sehe oft auf Bildern von 1939 auf Eisenbahnwaggons von Truppentransporten diesen Satz: „Wir fahren nach Polen, um Juden zu versohlen!“ Für mich war das kein Witz. Ich habe das schmerzlich erlebt. Und diese Waggons transportierten Landser – einfache Soldaten. Hitlers Krieg galt den Juden. Das war es von 1939 an. Nach Polen – dort gab es ja damals die meisten Juden der Welt!

Fanatismus bis zum Ende

Von dem etwa einem Dutzend deutscher KZ- und Vernichtungslager, die ich in Deutschland oder ehemals besetzten Ländern etliche Male besucht habe, will ich nur 4 Beispiele anführen.
Das KZ Bergen-Belsen bei Hannover, wo auch die berühmte 15-jährige Anne Frank starb, wurde am 15.04.45 durch britische und kanadische Truppen befreit. Da lagen zerstreut 13.000 noch in den letzten Tagen Ermordete, dazu unter ihnen Halbtote. Gefangenen SS-Wächtern (darunter viele Frauen) wurde die Beerdigung befohlen. Um eine Epidemie zu vermeiden, schafften die Allierten schwere Raupenfahrzeuge heran, die am 19. April die Mengen Leichen in Massengräber schoben. Ein Zeugnis wahnsinnigen Massenmordens bis zum Schluss der Naziherrschaft.

Seegrotte Hinterbrühl 17 km vor Wien. Hier wurden im bombensicheren Bergwerk Flugzeugteile der Heinkelwerke für das Düsenjagdflugzeug HE 162 hergestellt. In 24-Stunden Schichtarbeit wurden 1800 Häftlinge aus dem KZ Mauthausen beschäftigt. Ich habe persönlich mit einem überlebenden Juden und Augen-Zeitzeugen, der dort gearbeitet hatte, gesprochen. Als die Allierten Truppen sich 1945 näherten, gab es einen Todesmarsch nach Mauthausen. Schwache wurden sofort durch Benzininjektion getötet, andere erschossen. Ihr Dienst war nicht mehr nötig, so wurden sie als Todgeweihte noch in den letzten Tagen brutal umgebracht. Heute besuchen jährlich etwa 250.000 Menschen den größten unterirdischen See Europas. Eine kleine Gedenktafel erinnert an unsagbares Leid hier, in der Nähe des Wienerwaldes.

Palmnicken bei Königsberg Pr. (heute Kaliningrad). Am 27.01.45 erreichte ein Todesmarsch von KZ-Häftlingen aus Stutthof und Nebenlagern den Ort Palmnicken, wo sie in der Grotte „Anna“ im Bernsteinbergwerk ertränkt werden sollten. Unterwegs Erschießungen, Todprügelung von 2000 der Schwachen, und die Grotte fand man geschlossen. Am 31.01.45 erfolgte die Ermordung aller 3000 Juden (manche schätzen die Zahl auf 7000) unter SS-Oberscharführer Fritz Weber. Frauen wurden aufs Eis des angefrorenen Seestrands geschickt und dann mit Maschinengewehren niedergemäht, Männer hintereinander aufgestellt und durch eine Kugel pro Zweien erschossen. Als die Munition auslief, wurden Handgranaten unter sie geworfen, die sie zerrissen. Als einige geflohen waren, gab der Bürgermeister von Palmnicken Hitlerjungen (unter 16 Jahren, sonst wären sie im Felde) Waffen und Schnaps und befahl ihnen, sie zu finden und zu erschießen. Es entkamen 15 Jüdinnen. Zu der Zeit war Auschwitz bereits befreit, waren die Allierten tief in Deutschland, die russischen Truppen vor Königsberg. Das Palmnicken-Massaker gilt als das letzte große vor Ende des 2. Weltkriegs – fanatische „Endlösung“ bis zum Schluss in dem Krieg gegen die Juden!

Auschwitz-Birkenau, die Hauptstadt des Mordimperiums der Welt. In dieser deutschen Todesfabrik in Polen starben 1½ Millionen Menschen, davon waren 90 % Juden. Es wurde zum größten jüdischen Friedhof der Welt – ohne Grabsteine. Nebst noch lebenden Zeitzeugen sind gesprengte Gaskammern, Krematorien und dergleichen stille Zeugnisse des Grauens. Viele Male besuchte ich diese Stätte. Am 27.01.2005 war ich auf diplomatischem Wege telefonisch als Gość Specjalny (Besonderer Gast) zur 60-jährigen Feier der Befreiung dorthin eingeladen. Nach der Warschauer Presse waren Präsidenten, Premierminister und gekrönte Häupter aus über 40 Ländern anwesend, darunter auch Vladimir Putin (Russland) und ein Vatikan-Vertreter des Papstes. Hier nur eine Frage an Holocaust-Verleugner: Wären alle diese Staatsoberhäupter und zahlreichen Würdenträger gekommen, wenn der Holocaust nicht stattgefunden hätte? Waren diese internationalen Spitzenpersönlichkeiten nicht in der Lage, eine solche Lüge aufzuklären? Hier kann man nur an gesunden Menschenverstand appellieren.

12 Jahre der Verführung – und heute?

Dieses knapp 2-jährige jüdische Kind wurde am 21.09.11 Opfer des „friedlichen Widerstands” Steine werfender palästinensischer Araber nahe Jerusalem.

Die deutsche Naziherrschaft hat nur 12 Jahre gedauert, davon 6 Jahre eines Krieges, der über 40 Millionen Zivilisten und rund 25 Millionen Soldaten das Leben kostete. Der Krieg verloren, Europa zertrümmert, die Führungskräfte begingen Selbstmord oder wurden erhängt. Adolph Hitler, Hermann Göring, Joseph Goebbels, Heinrich Himmler, Fritz Weber, dazu viele der 15 „Intellektuellen“ von Wannsee: Selbstmord. Die Liste ist lang. Reinhard Heydrich erlag dem Tod infolge eines Überfalls in Prag. Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß wurde durch ein polnisches Gericht zum Tode verurteilt und in seinem eigenen Lager erhängt. Adolf Eichmann sah den neuen Staat Israel, wurde dort verurteilt und durch den Strang hingerichtet. Der ganze utopische Naziruhm führte zum Chaos und ging unter. Oder nicht? Lebt die Unheils-Idee noch?

Wenn heute Menschen den niedrigen verführerischen NS-Ideen nacheifern (übrigens: Neonazismus gibt es nicht, es ist der alte Fluch des Abgrunds!), dann handelt es sich bei solchen um Sinnesschwäche oder Neigung zur äußersten Bosheit. Eine Wiederbelebung und Gruppierung, selbst in getarnten Parteien, hat nichts mit Demokratie oder Meinungsäußerung zu tun. Sie sollte als verbrecherisch verboten sein!

Und die Juden? Wir haben den Genozid überlebt. Unsere Zahl ist wieder um Millionen gestiegen. Auch konnte die Wiederentstehung des Judenstaates nicht verhindert werden. Israel hat sogar eine der besten Verteidigungsarmeen (IDF) der Welt. „Am Jisrael chaj, od Avinu chaj!“ – Das Volk Israel lebt, denn unser Vater lebt!

Vernichtung der Juden war früher und wird auch weiterhin versucht werden. „Denn siehe, deine Feinde toben, und die dich hassen, richten den Kopf auf. Sie machen listige Anschläge wider dein Volk und raten wider die Verborgenen [die bei dir sind]. Wohl her! Sprechen sie; lasst uns sie ausrotten, dass sie kein Volk seien, dass des Namens Israel nicht mehr gedacht werde! Denn sie haben sich miteinander vereinigt und einen Bund wider dich gemacht“ (Ps. 83, 3-6).

„Warum toben die Heiden und die Völker reden so vergeblich? … Aber der im Himmel wohnt, lachet ihrer … Er wird einst mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie schrecken“ (2, 1-5).

Gott hat das letzte Wort: „So spricht der Herr, der die Sonne dem Tage zum Licht gibt und den Mond und die Sterne nach ihrem Lauf der Nacht zum Licht, der das Meer bewegt, dass seine Wellen brausen; Herr Zebaoth ist sein Name: ‚Wenn solche Ordnungen vergehen vor mir, spricht der Herr, so soll auch aufhören der Same Israels, dass er nicht mehr ein Volk sei ewiglich‘“ (Jer. 31, 35-36).